Hettlinger Zytig: Wann und wie haben Sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt?
Sabrina Kugler: Nach dem Abschluss meines Studiums erhielt ich über Empfehlungen die ersten Kundenaufträge. Da ich zu dieser Zeit bereits Teilzeit in einem Architekturbüro angestellt war, konnte ich diese Projekte ohne grossen Druck angehen. So bin ich nach und nach in die Selbstständigkeit hineingewachsen, ohne sie bewusst zu planen.
Durch Weiterempfehlungen meiner ersten Kundinnen und Kunden kamen immer mehr neue Aufträge hinzu. Das war für mich eine schöne Bestätigung, dass ich mit dem, was ich tue, auf dem richtigen Weg bin.
Hettlinger Zytig: Wie hat sich die Welt im Bereich Grafik-Design im Verlauf Ihrer Karriere verändert?
Sabrina Kugler: Die Welt des Grafikdesigns hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Vor allem technologisch aber auch ästhetisch und gesellschaftlich. Früher lag der Fokus im Design stärker auf Printmedien wie Plakaten, Broschüren oder Magazinen. Heute dominiert hingegen ein Digital-First-Ansatz, der Websites, Apps, Social Media, UI/UX und Motion Design umfasst. KI und Automatisierung spielen dabei eine immer grössere Rolle. Designer nutzen KI-Tools, um Ideen zu entwickeln, Layoutvorschläge zu erhalten, Retuschen vorzunehmen oder generativen Content zu erstellen. Gleichzeitig müssen Designs auf einer Vielzahl von Endgeräten funktionieren. Von verschiedenen Bildschirmen über Smartphones bis hin zu Smartwatches.
Auch die Designästhetik unterliegt einem Wandel. Nach Jahren flacher Designs erleben weichere, organischere Formen sowie mehr Tiefe, Textur und Farbe eine Renaissance. Dieses Prinzip gilt nicht nur für grafische Produkte, sondern zieht sich durch alle Designbereiche. Dies lässt sich beispielsweise auch im Bereich Interior Design beobachten. Stile vergangener Jahrzehnte, aktuell insbesondere der 70er-Jahre, werden neu interpretiert und in die heutige Zeit übersetzt.
Designtrends wiederholen sich, entwickeln sich weiter und vereinen Bewährtes mit modernen Einflüssen. Sei es in der Grafik, im Interior Design oder in der Mode.
Gesellschaftlich wird immer mehr Wert auf eine umweltbewusste Gestaltung gelegt. Weniger Printprodukte, ressourcenschonende Materialien oder nachhaltige Farben spielen heute eine grössere Rolle als noch vor zehn Jahren.
Hettlinger Zytig: Wie hat sich unser Konsum von grafischen Produkten verändert und wie wird man dem im Kreationsprozess gerecht (Aufmerksamkeitsspanne vs. Informationsflut, zunehmende Relevanz von Videos etc.)?
Sabrina Kugler: Unser Konsum grafischer Produkte hat sich durch Informationsflut und kurze Aufmerksamkeitsspannen stark verändert. Inhalte müssen sofort ins Auge springen, klar strukturiert und leicht verständlich sein. Animationen und interaktive Formate gewinnen an Bedeutung, da sie Botschaften schneller und emotionaler transportieren. Im Kreationsprozess bedeutet das: zielgruppenorientiert und plattformgerecht zu gestalten, um in der Flut an Informationen wahrgenommen zu werden.
Hettlinger Zytig: Was beschäftigt Sie im Hinblick auf die Zukunft (Stichwort KI in kreativen Prozessen)?
Sabrina Kugler: Anfangs hatte ich, wie viele andere, die Befürchtung, dass künstliche Intelligenz meine Arbeit als Grafikdesignerin ersetzen könnte. Doch sobald ich begonnen habe, mit KI-Tools zu experimentieren, wurde schnell klar, dass sie vor allem ein weiteres kreatives Arbeitswerkzeug ist. Im Designprozess verändert sich dadurch vor allem unsere Rolle. Wir werden stärker zu Kuratoren und Konzeptentwicklern, die KI gezielt einsetzen.
Gerade in der Bildbearbeitung übernimmt KI heute viele manuelle Aufgaben und macht Prozesse deutlich effizienter. Auch interessant finde ich ihren Einsatz in der Ideenphase: KI visualisiert Gedanken in Sekunden und überrascht oft mit unerwarteten Ansätzen, gerade weil die Resultate nicht immer dem eigenen Bild im Kopf entsprechen.
Gleichzeitig beobachte ich eine Gegenbewegung, einen Trend hin zu Authentizität und Imperfektion. Weg vom glatten Corporate-Look, hin zu handgemachten, emotionalen Designs mit Charakter, die Persönlichkeit und Originalität ausstrahlen. Ich selbst arbeite sehr gerne mit Handzeichnungen, die ich auch in Corporate Designs einbinde. Das ist etwas, das KI nicht mit derselben Ursprünglichkeit und Handschrift wiedergeben kann.
Hettlinger Zytig: Welche Aspekte eines Projektes gefallen Ihnen besonders?
Sabrina Kugler: Besonders gefallen mir die Phasen eines Projektes, in denen sich aus der Ideenfindung langsam eine konkrete Lösung herauskristallisiert. Genau in diesem Moment komme ich oft in einen Flow-Zustand, in dem die Arbeit richtig Spass macht. Die Ideen greifen ineinander, Entscheidungen fallen leichter und man spürt richtig, wie das Projekt Form annimmt.
Allgemein schätze ich die Vielseitigkeit meiner Aufträge. Jede Kundin und jeder Kunde hat andere Wünsche und Vorstellungen, wodurch kein Projekt dem anderen gleicht. Aus diesem Blickwinkel ist die Selbständigkeit ein grosses Geschenk. Ich kann immer wieder an neuen, unterschiedlichen Projekten arbeiten und Routinearbeiten kommen nur selten vor. Diese Abwechslung hält die Arbeit spannend und motivierend.
Hettlinger Zytig: Gibt es noch einen „Traumkunden“ oder ein „Traumprojekt“, das Sie gerne umsetzen würden?
Sabrina Kugler: Einen konkreten „Traumkunden“ oder ein spezielles „Traumprojekt“ habe ich nicht, denn meine Arbeit ist sehr facettenreich. Jede Kundin und jeder Kunde bringt neue, spannende Aufgaben aus ganz unterschiedlichen Branchen und Bereichen mit. Das bietet immer wieder neue Herausforderungen und kreative Möglichkeiten.
Aktuell zum Beispiel, begleite ich das schöne Projekt Juliens Stern einer Kundin grafisch mit unterschiedlichen Werbemassnahmen. Es handelt sich um ein liebevoll illustriertes Kinderbuch für Eltern, Geschwister und Angehörige von Sternenkindern. Dabei gestalte ich Werbemittel für verschiedene Plattformen, unter anderem digitale Plakate, bei denen einzelne Elemente sanft animiert werden, um sensibel mit der Thematik umzugehen und diese passend zu vermitteln. Diese digitalen Plakate, die in der Zürcher Innenstadt gezeigt werden, müssen so gestaltet sein, dass Passantinnen und Passanten, die meist in Eile sind, alle Informationen in wenigen Augenblicken erfassen können. Damit knüpfe ich wieder an die zuvor besprochene Thematik der zielgruppen- und plattformgerechten Gestaltung an. Ergänzend zu den digitalen Werbemitteln kommen für dieses Projekt auch klassische Printversionen für Zeitschriften wie die Annabelle hinzu, die von der Leserin oder dem Leser in Ruhe, etwa bei einer Tasse Kaffee, wahrgenommen werden können.
Hettlinger Zytig: Kann man Kreativität lernen? Oder wie schafft man es, jeden Tag kreativ zu sein?
Sabrina Kugler: Ich denke, dass Kreativität zum Teil erlernbar und trainierbar ist. Sie entsteht nicht nur aus Talent, sondern auch aus Disziplin, Neugier und methodischem Arbeiten. Kreativ zu sein bedeutet, neue Perspektiven einzunehmen, Dinge zu hinterfragen und bewusst nach Lösungen zu suchen. Natürlich ist es einfacher, wenn man auf den eigenen Stärken und Interessen aufbauen kann.
Um jeden Tag kreativ zu bleiben, hilft es, sich ständig Input von aussen zu holen. Sei es durch Kunst, Design, Natur oder neue Erfahrungen. Gleichzeitig hilft es, regelmässig zu experimentieren, zu skizzieren oder spontane Ideen festzuhalten.
Kurz gesagt: Kreativität ist eine Mischung aus Talent, Übung und neugierigem Blick auf die Welt.
Hettlinger Zytig: Was würden Sie gerne noch lernen (beruflich oder privat)?
Sabrina Kugler: Design fasziniert mich in all seinen Facetten. Sei es in der Grafik, im Raum oder am Objekt. Beruflich wie privat möchte ich mein Wissen im Bereich Industriedesign und Interior Design weiter vertiefen. Ein grosser Traum von mir ist es, eigene Möbel und Wohnaccessoires zu entwerfen. Besonders gerne arbeite ich plastisch, denn durch das haptische Gestalten werden Ideen greifbar und lebendig. Ob in der Grafik oder im Produktdesign, am Ende verbindet beide Designformen dasselbe Ziel: nämlich die harmonische Balance von Form, Farbe, Material und ihrer Wirkung.
— Hettlinger Zytig, November 2025